Wittke mauert gegen Brummi Maut
Bundesstraßen in NRW bleiben für LKW Maut-freie Zone, obwohl Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) zugibt, dass der Verkehr seit der Mauteinführung stellenweise stark gestiegen ist. Dafür sperrt er jetzt zwei überlastete Straßen

von Stephan Große

DÜSSELDORF - Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) will auch in Zukunft keine LKW-Maut auf Bundesstraßen einführen. "Es interessiert uns nicht, ob wir noch stark befahrene Straßen melden können", sagte Stephan Heuschen, Sprecher des NRW Verkehrsministeriums, gestern zur taz. Zwar sei mit der Mauteinführung Anfang 2005 die Belastung vieler Straßen in die Höhe geschnellt. Inzwischen habe sich die Lage aber deutlich entspannt, so Heuschen. Zudem würden die Fahrer auch der neuen Gebühr aus dem Weg gehen und noch kleinere Nebenstraßen nutzen, argumentierte er.
Die EU hatte dem Bundesverkehrsministerium Anfang der Woche grünes Licht gegeben, um gegen den Laster-Verkehr vorzugehen. Auf insgesamt drei Bundesstraßen soll ab Anfang 2007 die Maut kassiert werden. Die Zunahme des Verkehrs auf zahlreichen Bundesstraßen nach Einführung der LKW-Maut auf Autobahnen wird auch von einer Studie des Bundes bestätigt. Für NRW beruht sie auf den Messdaten von über 280 Zählstellen. Besonders die B 51 in Köln und die Bundesstraße 1 in Dortmund sind stärker befahren als zuvor. Gleiches gilt für die B 228 zwischen Krefeld und Duisburg. Die Folgen sind neben Lärmbelästigung der Anwohner auch mehr Feinstaub und Straßenschäden.

Doch obwohl Wittke die Lage in NRW als nicht dramatisch bewertet, lässt er nun bestimmte Straßen für Brummis sperren: die B 1 zwischen Werl und Paderborn und die B 68 zwischen Paderborn und der hessischen Landesgrenze. Die Kreise werden noch in diesem Jahr die Autobahnausfahrten, die auf die Bundesstraße führen, für die LKW dicht machen.

Die Grünen zeigen wenig Verständnis für die Politik des Ministers: "Es gibt 23 gleich und höher belastete Strecken in NRW als die, die Wittke nun sperren lässt", sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Oliver Keymis. Die Bürger sollten durch zusätzliche Mautstrecken umfassender vor dem Verkehr geschützt werden, fordert er: "Wittke sollte sich ein Beispiel an seinen Kollegen aus den anderen Bundesländern nehmen.". Bislang haben Schleswig-Holstein, Hamburg und Rheinland-Pfalz drei Straßen gemeldet und können dort nun die Maut einführen.

Auch Werner Reh, Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz NRW (BUND), kann Wittke nicht verstehen und fordert langfristig die Einführung einer flächendeckenden LKW-Maut. "Warum werden Statistiken gemacht, eine Zunahme des Verkehrs registriert und nicht gehandelt?", fragt Reh.

Was nicht ist, kann noch werden: Die Landesregierung kann sich jederzeit mit dem Wunsch nach einer Maut auf Bundesstraßen an das Bundesministerium wenden.
EU dreht Gifthahn zu
Flüsse in NRW sind weiterhin mit schädlichen Tensiden belastet. Nun will die EU der Industrie verbieten, diese Chemikalien einzusetzen. Landesregierung und Wissenschaftler begrüßen Pläne

von Stephan Große und Gesa Schölgens

Sauerländische Behörden entdecken auf immer mehr Feldern giftige perfluorierte Tenside (PFT). Die schädlichen Stoffe gelangten auch in die Flüsse Ruhr und Möhne. Der Brüsseler Umweltausschuss hatte vergangene Woche ein EU-weites Verbot der Chemikalien beschlossen. Folgen Parlament und Ministerrat dem Votum, müssen PFT weitgehend aus der Produktion verschwinden. In großen Mengen sind PFT für Tiere krebserregend und erbgutschädigend. Sie stecken etwa in wasserabweisender Kleidung und Reinigungsmitteln.
Nach wie vor gibt es Spuren von PFT in Ruhr und Möhne. Im Sauerland gelangten die Chemikalien auch ins Trinkwasser. Die betroffene Stadt Arnsberg verteilt in einigen Stadtteilen weiterhin kostenloses Mineralwasser an Schwangere und Säuglinge. Seit vergangenen Freitag versuchen Mitarbeiter des Wasserwerkes, das Trinkwasser mit Aktivkohlefiltern zu reinigen. "Es gibt allerdings noch keine Erfahrungen, ob das in der Praxis funktioniert", sagt Ulrich Midderhoff, Geschäftsführer der Stadtwerke Arnsberg. An diesem Donnerstag sollen die ersten Ergebnisse vorliegen.

Ein Verbot könne solche Probleme vermeiden, sagt Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter aus Südwestfalen. "Es setzt an der Quelle an, schützt die Verbraucher und gibt Rechtssicherheit". Kommunen und Steuerzahler sollten nicht für eine Verschmutzung der Flüsse mit PFT aufkommen müssen. "Der Verursacher muss dafür haften", fordert Liese. Auch die Landesregierung ist für ein Verbot. "Nur so gelingt es uns, gefährliche Stoffe auf Dauer aus der Umwelt fernzuhalten und aufwändige Reparaturmaßnahmen, wie sie jetzt an Ruhr und Möhne erfolgen, überflüssig zu machen", sagt Staatssekretär Alexander Schink (CDU).

Auch Wissenschaftler schließen sich an. "Ein Verbot von PFT würde ich begrüßen, da die Substanzen schlecht bis gar nicht abbaubar sind", sagt Harald Färber vom Bonner Hygiene-Institut. Färber war im Frühjahr auf die zu hohen Konzentrationen der umstrittenen Tenside an der Ruhrmündung gestoßen.

Für die Reinigung des Trinkwassers zahlt allein die Stadt Arnsberg rund 150.000 Euro. "Wir werden versuchen, Schadenersatzansprüche geltend zu machen", sagt Midderhoff. Gegen wen, ist noch unklar. Allerdings habe sich der Verdacht erhärtet, dass Biodünger Schuld an der Verschmutzung ist, sagte gestern ein Sprecher des Hochsauerlandkreises. Der Dünger der Firma GW Umwelt aus Borchen war in der Region auf gut 1.200 Hektar aufgetragen worden. Zwar wurden in Proben des Düngers keine Tenside gefunden. Allerdings muss dieser nicht mit dem Kompost identisch sein, der auf den Feldern landete. Auch außerhalb des Möhnegebiets seien Äcker belastet, wenn auch nur gering, so der Kreissprecher. Untersucht wurden zunächst 14 von 50 gedüngten Flächen im Ruhr-, Nierbach- und Elpetal.
Politik macht Partypause
Hunderttausende Schwule und Lesben feiern den Kölner Christopher Street Day. Kritik an Kürzungen der Landesregierung nur am Rande. Politiker nutzen das Straßenfest zur Eigenwerbung

von Stephan Große

Rund 600.000 Schwule und Lesben feierten gestern in den Straßen Kölns den Christopher Street Day. Am Paradezug durch die Innenstadt nahmen ab Mittag rund 20.000 Leute mit 70 Wagen teil. So demonstrierten sie für Gleichberechtigung und Toleranz. In diesem Jahr war das Motto "100 Prozent NRW nur mit uns" zwar sehr politisch, darüber gesprochen wurde aber nur eine Stunde. Die Veranstalter wählten das Thema, um gegen die Kürzungen der amtierenden schwarz-gelben Landespolitik zu demonstrieren, unter denen sie stärker litten als andere: Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen erhalten weniger Geld.
Während der zwei kurzen Diskussionsrunden auf dem Kölner Altermarkt am Samstag während des "Cologne-Pride"-Straßenfests, wurde vor allem über die Fortschritte der Homobewegung diskutiert. Besonders die neue Fassung des Lebenspartnerschaftsgesetzes, das seit Anfang vergangenen Jahres in Kraft ist, wurde gelobt. Seitdem sind wesentliche Dinge einfacher geworden: Homosexuelle Arbeiter und Angestellte sind ihren Hetero-Kollegen völlig gleichgestellt. Bringt ein Partner ein Kind mit in die eingetragene Partnerschaft, kann es als Stiefkind adoptiert werden. Wie Heteros können sich Homosexuelle verloben: Das hat vor allem den Vorteil, dass sie als Angehörige anerkannt werden. Zudem erhalten sie ein Zeugnisverweigerungsrecht. Auch Unterhaltszahlungen sind seitdem genauso geregelt wie bei einer Ehe.

Dennoch sind viele Punkte offen geblieben, gerade was die steuerliche Gleichstellung angeht. "Das Ziel Ehe bleibt bestehen", sagte Axel Blumenthal, Mitglied des Bundesvorstands des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands (LSVD).

Besonders viele Probleme gibt es noch für binationale Homo-Paare. "Häufig sind sie dreifach-diskriminiert", sagte Mikos Delveroudis, der homosexuelle Migranten berät. Sie seien wegen ihre Herkunft und sexuellen Orientierung in der Gesellschaft diskriminiert. Aber auch in der Homo-Community gelten sie als Exoten. Auch das Thema antischwuler Gewalt wurde diskutiert: "Köln ist tragischerweise nicht so tolerant wie es scheint", sagte Sascha Facius vom Kölner Schwulen-Überfall-Telefon. Gewalttaten würden mitten in der Stadt passieren, die Dunkelziffer sei hoch. Häufiges Problem in vielen Bereichen: fehlende Statistiken.

Die Kölner Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) nutze das Straßenfest, um für ihre Politik zu werben. Immerhin sind nach Schätzungen des LSVD rund zehn Prozent der Wahlberechtigten homosexuell. Akgün sagte, dass endlich die sexuelle Orientierung auch als Asylgrund anerkannt werden muss, da vielen Menschen in der Heimat Verfolgung drohe. Dafür gab es vom Publikum viel Applaus. Allerdings konnte sie auch auf taz-Nachfrage keine konkreten Initiativen nennen - eine eigene stellte sie ebenfalls nicht in Aussicht.
Ab in den Kongo
Von Köln aus starten Sonntag deutsche Soldaten in den Kongo. Bundeswehrverband übt Kritik

von Stephan Große

Köln - Der Militärstützpunkt am Köln/Bonner Flughafen ist zentraler Abflugsort für die Bundeswehrsoldaten, die am Kongoeinsatz teilnehmen. Sonntag früh starten 170 Soldaten einer Luftlandebrigade nach Kinshasa und in die Hauptstadt des Nachbarlandes Gabun. In NRW stationierte Truppen nehmen allerdings nicht an dem Auslandseinsatz teil. Neben den deutschen werden morgen rund 30 Angehörige der niederländischen Streitkräfte verlegt.
Die Meinungen über den Einsatz gehen weiterhin auseinander. "Die Soldaten sind hoch motiviert. Sie wollen nach der konzentrierten Vorbereitung los", so ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam zur taz. Wilfried Stolze, Sprecher des Bundeswehrverbandes, ist anderer Meinung: "Die Soldaten vor Ort scheinen nicht begeistert zu sein. Das Material und die Ausrüstung sind schlecht; das demoralisiert die Truppe", sagte er. Von einem "echten" soldatischen Einsatz wollte Stolze bisher nicht reden: Die Soldaten säßen abgeschottet in ihrem Quartier am Flughafen Ndolo im Zentrum Kinshasas und wären unter sich.

Insgesamt werden 780 deutsche Soldaten in die Region entsandt, die meisten nach Gabun. Sie nehmen an der EU-Operation teil, die die Friedensmission der Vereinten Nationen unterstützen soll. Ziel ist es, die ersten demokratischen Wahlen im Kongo seit mehr als 40 Jahren zu sichern. Bereits vor einer Woche starteten die ersten deutschen Soldaten des Hauptkontingents. In Libreville, der Hauptstadt Gabuns, befindet sich das logistische Drehkreuz der Kongo-Mission. Dass die Soldaten nach vier Monaten zurückkehren glaubt Stolze nicht: "Die Deutschen sind immer die letzten, die das Licht ausmachen", sagte er mit Blick auf andere Auslandseinsätze.
Operation gelungen - Witten lebt weiter
Der Wissenschaftsrat hat keine Bedenken mehr gegen das Medizinstudium an der Universität Witten/Herdecke: Neun neue Professoren werden eingestellt, die Forschung ausgebaut und das Land erhöht die Finanzhilfen

von Stephan Große

Witten/Mainz - An der Privat-Universität Witten/Herdecke dürfen auch zukünftig Mediziner ausgebildet werden. Das hat der Wissenschaftsrat bei seiner gestrigen Sommersitzung in Mainz beschlossen. "Wir werden beweisen, dass die Universität das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigt", sagte Uni-Präsident Wolfgang Glatthaar nach der Entscheidung. Konrad Schily, Gründungspräsident der Universität, reagierte verhalten auf die Entscheidung des Rates: "Ich bin froh über dieses Ergebnis. Aber ich hoffe, dass die Uni nicht Kröten schlucken musste, die sie nicht verdauen kann", sagte er zur taz.
Die Uni konnte den Experten-Rat mit einem neuen Konzept für den Humanmedizinischen Studiengang überzeugen. Seit Mitte vergangenen Jahres steht er in der Kritik: Zu wenig hauptamtliche Professoren, geringe Forschungsleistung, lauteten die zentralen Vorwürfe des Rates.

Künftig wird die Versorgungsforschung an der Hochschule voran getrieben. Dabei wird die Patientenbetreuung unter alltäglichen Bedingungen untersucht. Sie bildet die wissenschaftliche Grundlage für mögliche Veränderungen der Patientenversorgung und des Gesundheitssystems. Neben neun neuen Professoren werden Stellen für 21 Mitarbeiter geschaffen. Die Grundlagenforschung wird ebenfalls ausgebaut: Es entsteht ein Forschungszentrum für Entzündungserkrankungen an Organen. Der Forderung des Wissenschaftsrates nach mehr interner Vernetzung von Forschung und Lehrer kommt die Uni ebenfalls nach. Die Umsetzung des Konzepts hat zum Teil bereits begonnen. Die Fortschritte waren mit ausschlaggebend für das positive Votum des Rates. "Wir sind jetzt frei, das Konzept das wir dem Rat vorgestellt haben umzusetzten", sagte Olaf Kaltenborn, Sprecher der Hochschule.

Die Kosten für den Ausbau der Humanmedizin belaufen sich in den kommenden drei Jahren auf 11,5 Millionen Euro. Das Land beteiligt sich: Die jährlichen Zuschüsse für die Privat-Universität werden um eine Millionen auf insgesammt 4,5 Millionen Euro jährlich aufgestockt. Die verbleibenden Kosten werden durch Drittmittel der Hochschule gedeckt.

Im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium wurde die Entscheidung ebenfalls begrüßt: "Dies ist ein Meilenstein in der weiteren Entwicklung der bundesweit einzigartigen privaten Universität", sagte Wissenschaftminister Andreas Pinkwart (FDP). Das Ministerium hatte an dem Konzept der Uni mitgearbeitet, das die Basis für die heutige Entscheidung war. Die Kritik des unabhängigen Wissenschaftrates an der Wittener Medizinerausbildung sorgte im vergangenen Jahr bundesweit für Aufsehen. Bis dahin galt der Reformstudiengang als wegweisend, weil die Studenten früh die Arbeit mit Patienten erlernen. Die nun erfolgte volle Anerkennung der Universität gilt bis 2009. Ein Jahr zuvor wird sie erneut turnusmäßig überprüft.
Countdown für Privatuni
Darf Deutschlands erste Privatuni in Witten-Herdecke weiter Mediziner ausbilden? Heute fällt die langerwartete Entscheidung im Wissenschaftsrat. NRWs Wissenschaftsminister ist optimistisch

von Stephan Große und Miriam Bunjes

Heute entscheidet sich die Zukunft der Universität Witten-Herdecke. Der Wissenschaftsrat will endgültig beschließen, ob Deutschlands erste private Universität weiter MedizinerInnen ausbilden darf. An der Privatuni lernen 1.100 Studierende, die Hälfte studiert davon Medizin. Ein Aus der medizinischen Fakultät würde das Ende der Uni bedeuten. Im vergangenen Juli hatte der Wissenschaftsrat - das wichtigste Beratungsgremium der Bildungspolitik - in einem mit Fundamental-Kritik gespicktem Gutachten die Schließung der medizinischen Fakultät empfohlen: Deren Leistungen entsprächen nicht den Maßstäben einer Universität.
Im Zentrum der Kritik steht die Forschungsleistung. Das unabhängige Gremium bemängelte insbesondere die fehlende Uniklinik. Stattdessen kooperiert Witten-Herdecke mit elf Kliniken. Dadurch zerfasere die praktische Ausbildung, so der Rat. Zudem liege die Grundlagenforschung brach. Die Fachleute aus Wissenschaft und öffentlichem Leben fordern mehr hauptamtliche Professuren, mehr Forschung und eine grundlegende Überarbeitung der praktischen Ausbildung.

Die Kritik überraschte deutschlandweit: Der Reformstudiengang Medizin in Witten-Herdecke galt bislang als besonders innovativ: Bei Hochschul-Rankings belegten die Wittener Spitzenplätze, weil die Studierenden früh mit Patienten arbeiten.

Die Uni hat ihre Hausaufgaben gemacht. Seit Anfang diesen Jahres liegt ein neues Konzept auf den Schreibtischen im Wissenschaftsrat. Künftiger Forschungsschwerpunkt ist die so genannte Versorgungsforschung. "Wir haben die Grundlagenforschung deutlich aufgestockt", sagt Uni-Sprecher Olaf Kaltenborn. Bis zum Jahresende wird es acht neue Institute geben. Das Institut für chirurgische Forschung, ein Gemeinschaftsprojekt mit der Kölner Uni, arbeitet bereits. Die Uni entkräfte so den Vorwurf der mangelhaften Forschung und schaffe gleichzeitig neun interne Professoren, sagt Kaltenborn.

Auch die - ebenfalls monierte - Vernetzung innerhalb der Uni wurde vorangetrieben: So werden künftig die Biowissenschaftler enger mit den Medizinern zusammenarbeiten. In den Verträgen mit den Lehrkliniken wird inzwischen der Forschungsaspekt betont.

Doch auch das neue Konzept überzeugte die Gutachterkommission nicht. Bei der Frühjahrssitzung des Rates im Mai konnten die Mitglieder sich zu keinem abschließenden Votum durchringen. Der Uni wurde stattdessen ein zweiseitiges Anforderungsprofil übergeben, das neun konkrete Forderungen umfasst. "Es ist klar, dass wir uns nicht die Mühe gemacht hätten, wenn wir keine Chance mehr sehen würden", sagte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Peter Strohschneider nach der Sitzung.

Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), dessen Ministerium die Gutachten des Wissenschaftsrats für die NRW-Unis beauftragt, klingt noch optimistischer. Die Neukonzeption habe eine faire Chance verdient, so der Minister. "Wir sind sehr guter Hoffnung, dass Witten seine Medizin beibehält", sagt sein Ministeriumssprecher einen Tag vor der Entscheidung.
Vorsicht Trinkwasser
Die Grünen halten das Trinkwasser aus der Ruhr für gefährlich. Doch Landesumweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) will davon nichts wissen: Es bestehe "kein dramatischer Sanierungsbedarf"

von Stephan Große

Wirksamere Methoden zur Trinkwasseraufbereitung fordern die Grünen von Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU). Anlass ist die starke Belastung der Ruhr mit perfluorierten Tensiden (PFT). "Ihnen ist bekannt, dass die Wasseraufbereitung aus der Ruhr nicht nach dem Stand der Technik erfolgt", heißt es in dem Schreiben von Johannes Remmel, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag, an den Minister. Das Hauptproblem sehen die Grünen im Verfahren, wie Trinkwasser an der Ruhr gewonnen wird: Wenig belastetes Regenwasser wird mit Flusswasser der Ruhr vermengt. Gerade in trockenen Sommern würde das Ruhr-Wasser zu 40 Prozent aus Wasser bestehen, dass von Kläranlagen abläuft, mit allen Rückständen, die die dortige Reinigung nicht filtert. "Das bisher angewandte Aufbereitungsverfahren garantiert mit Sicherheit nicht eine Unversehrtheit der Menschen, die dieses Trinkwasser benutzen", so Remmel. Auch eine kostenlose Abgabe von Mineralwasser an Schwangere und Eltern von Säuglingen in besonders betroffenen Stadtteilen von Arnsberg reiche als Reaktion nicht aus.
Das Umweltministerium widerspricht den Anschuldigungen. "Beim Trinkwasser sehen wir keinen dramatischen Sanierungsbedarf - auch nicht an der Ruhr", sagt Markus Fliege, Sprecher des Umweltministeriums in Düsseldorf. Die Wasserversorger seien stets bemüht, die Aufbereitung auf dem neuesten Stand zu halten. Trinkwasser sei eines der reinsten Lebensmittel, so Fliege weiter. Die Kosten für modernere Aufbearbeitungstechniken müssten letztlich die Städte und Kommunen bezahlen.

Bei den Wasserversorgern an der Ruhr herrscht ebenfalls Unverständnis über die Grünen: "Die Forderungen sind reichlich grotesk. Wir halten alle Werte der Trinkwasserverordnung ein. PFT ist wohl Stoff des Monats", sagt Heinz-Otto Heimeier, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr, die für das Trinkwasser verantwortlich sind. Inzwischen werde das Wasser mit Hilfe von Aktivkohle gefiltert, und somit auch von PFT gereinigt.

Der für die Kläranlagen zuständige Ruhrverband weist ebenfalls Remmels Anschuldigungen zurück: "In den letzten 15 Jahren wurden 1,6 Milliarden Euro in unsere Kläranlagen investiert. Sie entsprechen dem Stand der Technik", sagt Peter Evers, Leiter der Abteilung Abwasserwesen beim Ruhrverband.

Anfang Juni hatten Untersuchungen des Hygiene-Instituts der Universität Bonn ergeben, dass bis zu 600 Nanogram PFT das Wasser von Ruhr und Möhne belasten. Die betroffenen Kreise erkannten allerdings keine akute Gesundheitsgefahr. Sie empfahlen dennoch, Babynahrung nicht mit Leitungswasser zuzubereiten. Mitte Juni sprach sich die Trinkwasserkommission des Umweltbundesamtes für einen neuen Zielwert von 100 Nanogramm pro Liter Wasser aus. PFT ist in zahlreichen Alltagsgegenständen wie beschichtetem Papier und Reinigungsmittel enthalten. Grenzwerte gibt es nicht.
Der Schein der Villa
Die historische Villa Dahm in der Ex-Hauptstadt Bonn wird abgerissen. Ihr Bild strahlt zukünftig vom Nachfolgebau

von Stephan Große

Die Villa Dahm wird nach ihrem Abriss wieder auferstehen: Die Silhouette der Gründerzeit-Villa wird von der Glasfassade des Kongresszentrums strahlen, für das sie im Laufe der Woche abgerissen wird. Die Erweiterung des Internationalen Kongresszentrums Bundeshaus Bonn (IKBB) im ehemaligen Bonner Regierungsviertel ist längst beschlossene Sache.
Die Villa wurde 1876 vom Fabrikanten Jakob Dahm erbaut. Nach dem zweiten Weltkrieg residierte dort zunächst das Auswärtige Amt, Mitte der fünfziger Jahre zog die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG) ein. Erst mit dem Umzug der Regierung nach Berlin Ende der 90er Jahre verlagerte auch die DPG ihren Sitz an die Spree.

Zunächst wollte die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) das Haus retten. "Die Stadt bemüht sich darum, die Villa Dahm zu erhalten." Zu ihren Vorschlägen zählte, die Villa abzutragen und an anderer Stelle wieder zu errichten. Fünf Millionen Euro hätte ihre Bewahrung laut Stadtkonservator Franz Josef Talbot gekostet. Inzwischen heißt es, ein "Erhalt des Gebäudes war nicht zu realisieren."

Die Villa Dahm war nicht das einzige, aber das älteste Gebäude auf dem Gelände, dessen Abriss diskutiert wurde. Dort stehen ebenfalls die ehemaligen Abgeordnetenhäuser - Bauhausarchitektur der frühen 60er Jahren - und die Pressebaracke. Denkmalschützer entschieden: Die Appartments bleiben, Villa und Pressebaracke werden "niedergelegt".

Der nun anstehende Ausbau des Kongresszentrums hat die Stadt teilweise in private Hände gelegt: Im Rahmen eines "Public-Private-Partnership"-Projekts soll das ehemalige Hauptstadt-Dorf Bonn attraktiver für internationale Kongresse werden und den Ansprüchen der zahlreichen UN-Außenposten gerecht werden, die bereits am Rhein stationiert sind. Die Plenarsäle Behnisch-Bau und Wasserwerk, in denen früher der Bundestag tagte, bieten künftig zu wenig Platz. SMI Hyundai investiert 140 Millionen Euro in den Bau, damit 3.500 Quadratmeter neue Konferenzraumfläche und ein "Mindestens-Vier-Sterne-Hotel" entstehen können.

Einen Trost gibt es nach dem Abriss der Villa: Der wahrscheinlich einzige denkmalgeschützte Kiosk des Landes gegenüber des Bundeshauses, in dem jahrelang die legendäre Parlamentarier-Bockwurst aufgebrüht wurde und reißßenden Absatz fand, wird zunächst nur versetzt.
Niemand will Knast
NRW braucht ein Großgefängnis, aber wo soll es hin? Die Ratinger winken ab - lieber wollen sie ein Gewerbegebiet

von Stephan Große

Ratingen will nicht. Die Stadt wehrt sich dagegen, dass auf ihrem Gebiet ein Knast gebaut wird - wie zuvor bereits Duisburg. Der Bitte der Düsseldorfer Bezirksregierung um Zustimmung zu dem Bauvorhaben, erteilte der Rat der Stadt Ratingen Anfang dieser Woche eine klare Absage. Damit geht der Streit um den Neubau der viertgrößten Justizvollzugsanstalt (JVA) von Nordrhein-Westfalen, deren Fertigstellung mit Zellen für 850 Häftlingen eigentlich für 2007 geplant war, in die nächste Runde.
Dabei war für die Bauherrin - die Düsseldorfer Bezirksregierung - schon alles klar. Die Behörde braucht ein neues Gefängnis, das die marode Düsseldorfer Justizvollzugsanstalt Ulmer Höh' sowie zwei Zweigstellen der JVA Duisburg-Hamborn und Oberhausen ersetzen soll. Als Standort hatte man sich ein ehemaliges Kasernengelände an der Autobahn 44 ausgeguckt. Auch für Justizministerin Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) ist das Gelände erste Wahl. "Das Grundstück ist ideal", sagt ihr Sprecher Ralph Neubauer.

Ende letzten Jahres schien dann alles unter Dach und Fach zu sein. Doch plötzlich bevorzugte Ratingens Bürgermeister Harald Birkenkamp (Bürger Union) die Nutzung des Geländes als Gewerbegebiet - was es laut Bebauungsplan auch ist. Ein weiterer Grund für die Ratinger Kehrtwende soll sein, so munkelt man, dass das Projekt gemeinsam mit einem privaten Investor realisiert werden sollte. Es wäre das erste Mal in NRW, dass eine JVA im Rahmen eines Public-Private-Partnership-Modells (PPP) betrieben würde. So sollen in den kommenden 25 Jahren 50 Millionen Euro eingespart werden.

Jedenfalls kam Ratingens Bürgermeister Anfang des Jahres zu den Verhandlungen mit Düsseldorfs Bürgermeister Joachim Erwin und Ministerin Müller-Piepenkötter und forderte Entschädigung für das entgangene Gewerbegebiet: Vom Land wollte er 6,5 Millionen Euro, von der Landeshauptstadt 35,7 Millionen. Als "absurd" wies das Land die Forderungen zurück - und die Justizministerin schickte eine Drohung hinterher: Das PPP-Modell wollte sie sterben lassen. Wenn aber das Land die JVA alleine baut und betreibt, kann die Kommune kein Veto mehr einlegen.

Wie die Bezirksregierung nach dem Widerspruch aus Ratingen nun weiter vorgeht, ist unklar. Für das Justizministerium stellte Sprecher Neubauer aber schon Mal fest: "Wir sehen keine realistische Alternative mehr zu Ratingen."
"Die Kunden werden kritischer"
Thomas Bieler von der Verbraucherzentrale NRW sieht in der Kundennähe der Sparkassen ihr größtes Plus

von Stephan Große

taz
: Es sieht so aus, als wären die Zeit der öffentlich-rechtlichen Sparkassen vorbei. Welche Folgen hätte das?

Thomas Bieler: Im Moment kann man darüber nur spekulieren. Für viele sind die Sparkassen die nächsten Ansprechpartner, sie haben eine starke Verankerung. Die Kundennähe der Sparkasse ist oftmals größer, besonders bei den kleineren Kunden, als das bei den Geschäftsbanken der Fall ist.
Anders als Geschäftsbanken sind Sparkassen auch dazu verpflichtet, jedem ein Giro-Konto einzurichten. Wird dies tatsächlich gemacht?

Das ist sehr unterschiedlich. Wenn Leute ein Problem haben und wir nachhaken, dann richten die Sparkassen schon die Konten ein. Allerdings: Es ist nicht nachvollziehbar, warum alleine die Sparkassen dafür zu sorgen haben, dass die Leute ein Konto bekommen. Da sehen wir alle anderen Banken genauso in der Pflicht.

Würde sich die Situation der Kontenvergabe verschärfen, wenn sich mittel- oder langfristig auch Privatbanken an Sparkassen beteiligt sind?

Das denke ich schon. Wir hätten dann ja konsequenterweise auch kein Sparkassengesetz mehr, das irgendwelche Rahmenbedingungen schafft. Dann wäre die Sparkasse ein ganz normales privatrechtliches Unternehmen und nicht mehr dazu verpflichtet - und könnte auch nicht verpflichtet werden, weil es keine öffentlich-rechtliche Sonderstellung mehr hat.

Die Sparkassen sind oft Kreditgeber für kleine Unternehmen. Welche Probleme entstehen, wenn Sparkassen privatisiert würden?

Den Mittelstand mit Krediten zu versorgen ist eine der Aufgaben, die den Sparkassen durch das Sparkassengesetz vorgeschrieben ist. Da haben die Sparkassen natürlich eine starke Position. Es kann durchaus sein, dass die Kreditvergabe bei einer Großbank deutlich rigider gehandhabt wird als bei einer Sparkasse, die den Kunde vor Ort im Zweifel sogar kennt. Diese Gefahr besteht durchaus.

Haben die Kunden ein Bewusstsein dafür, wo sie ihr Geld anlegen?

Ob vielen Kunden bewusst ist, wo der Unterschied zwischen einer Deutschen- und einer Volksbank ist oder dass sie die öffentlich-rechtliche Sonderstellung der Sparkasse erklären könnten, möchte ich durchaus bezweifeln. In den letzten Jahren gibt es aber glücklicherweise die Tendenz, dass die Kunden kritischer werden - auch gegenüber dem Sparkassenangebot.
Unhaltbare Zugstände
Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) stoppt alle Planungen für 16 neue oder zu modernisierende Bahnstrecken in NRW. Verkehrsverbünde machen künftiges Angebot vom Land abhängig

von Stephan Große

Viel sollte bis 2015 am Schienennetz in NRW getan werden. Doch nun liegen alle 16 Bau- und Modernisierungsprojekte auf Eis. Landesverkehrsminister Oliver Wittke (CDU) verhängte am Dienstag einen generellen Planungsstopp: "Wir sollten nur dort bauen, wo nachher auch Betrieb ist", begründet er seine Entscheidung. Damit reagiert Wittke auf die Streichung der Regionalisierungsmittel durch den Bund. NRW muss bis 2010 rund 516 Millionen Euro beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einsparen. Das Verkehrsministerium muss allein in diesem Jahr 16 Millionen, im kommenden sogar 87 Millionen Euro sparen.
Von den Kürzungen des Bundes sind auch die neun Verkehrsverbünde des Landes betroffen. In den meisten Fällen steht aber noch nicht fest, wie diese auf die Streichungen reagieren werden und wie vielen Strecken möglicherweise das Aus droht. "Die Zahlen über die Kürzungen liegen uns auch vor, aber was diese konkret bedeuten, steht noch in den Sternen", sagt Hans Oehl, Sprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR). Der VRR steht an der Spitze des Aktionsbündnisses "Gegen Kürzungen bei Bus und Bahn" diverser nordrhein-westfälischer Verkehrsunternehmen. Zu möglichen Erhöhungen der Fahrpreise will sich Oehl nicht äußern. Fest steht aber: Die Verkehrsverbünde stehen am Ende der Geldversorgungskette. Dahinter sind nur noch die Verkehrsbetriebe, wie Bus-Betreiber in den Städten -und letztendlich die Fahrgäste. Schon jetzt prognostiziert Oehl: "Die Kürzungen werden herbe Einschnitte für das gesamte System bedeuten." Auch der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) ist von der Entscheidung Wittkes betroffen, hegt aber Hoffnung: "Nach unserem Kenntnisstand handelt es sich hierbei um ein Aussetzen der Planungen und nicht um das endgültige Aus", sagt Norbert Reinkober, Geschäftsführer der VRS. Trotzdem werden auf zwei Strecken, wie beispielsweise bei der Verbindung Köln-Overath, nicht häufiger Züge fahren.

Das Düsseldorfer Verkehrsministerium wartet ebenfalls: Auf die Reaktionen der Verkehrsverbünde auf die Mittelkürzung. Das war auch der Grund für den Planungsstopp. So soll verhindert werden, dass Strecken modernisiert oder ausgebaut werden, die später möglicherweise nicht mehr von den Verbünden bedient werden.

Von Wittkes Planungsstopp sind Projekte in ganz NRW betroffen: Die Ratinger Weststrecke von Duisburg nach Düsseldorf genauso wie die Verbindung zwischen Aachen Rothe Erde zum Hauptbahnhof sowie nach Stolberg. Die Reaktivierung der Strecke von Marienheide nach Brügge in Westfalen und die Anbindung von Siegen und Erndtebrück an die hessische Landesgrenze wird zunächst nicht weiter verfolgt. Auch der Ausbau der Sennebahn-Strecke zwischen Paderborn und Bielefeld steht wieder in den Sternen.

Von Seiten der Oppositionsparteien im Landtag hagelt es Kritik an Wittkes Entscheidung. Oliver Keymis, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, kommentiert die Lage mit Blick auf die Ankündigung Oliver Wittkes, 834 Millionen Euro in den Straßenbau zu investieren: "Deutlicher kann man sich nicht als Totengräber des ÖPNV in NRW präsentieren." Auch Axel Horstmann (SPD), Wittkes Amtsvorgänger im Verkehrsministerium, kritisiert die Entscheidung des Ministers: "Erst vor wenigen Tagen hat er angekündigt, er könne die Kürzungen verkraften. Jetzt zeigt sich, dass der Ankündigungsminister wieder mal keinen Plan hat."
"Die Klagen haben rapide abgenommen"
In punkto Unterrichtsausfall hat sich viel verbessert, sagt die Vorsitzende der Landeselternschaft Gymnasien NRW

von Stephan Große

taz: Die Landesregierung hat dem Unterrichtsausfall vor einem Jahr den Kampf angesagt. Welche Bilanz ziehen Sie?

Gabriela E. Custodis: In den letzten Jahren erreichten uns sehr häufig Beschwerden über Stundenausfälle. Aber ich muss sagen: Die Klagen haben rapide abgenommen. Vieles hat sich da verbessert, es sind sehr viele Lehrer eingestellt worden. So hat sich der Unterrichtsausfall grundlegend verringert. Was es noch immer gibt, ist Fachlehrermangel. Darüber wird an Gymnasien noch geklagt. Aber im Grunde genommen ist die Lehrerversorgung an vielen Schulen sehr viel besser geworden.
Wie bewerten Sie die Qualität der Vertretungsstunden?

Die Lehrer gehen sehr viel sorgfältiger mit diesen Stunden um. Das heißt: Es wird nicht einfach nur ein Film geguckt, sondern es werden Konzepte erstellt. Die Situation hat sich auch hier grundlegend entschärft.

Aber dennoch fallen noch etliche Stunden aus. Was ist der Grund dafür?

Fachlehrermangel und Krankheit sind Gründe. Es gibt vielerorts veraltete Kollegien, in denen öfter längerfristige Erkrankungen auftreten. Wenn zum Beispiel ein Mathematiklehrer ersetzt werden muss, ist es nicht einfach, über das Programm "Geld statt Stellen" einen Neuen zu bekommen.

Das neue Schulgesetz wurde Ende letzter Woche verabschiedet. Wie finden Sie es?

Positiv finden wir, dass die individuelle Förderung und die Förderung von guten Schülern jetzt festgeschrieben ist. Und wir begrüßen, dass die frühe Einbeziehung der Eltern in die Förderung der Schüler gegeben ist und so mehr auf den Dialog zwischen Eltern und Lehrern gesetzt wird.

Aber das Mitspracherecht der Eltern in der Schulkonferenz wird geringer. Lehrer, Schüler und Eltern haben nicht mehr gleich viele Stimmen.

Stimmt. Bei einer Abstimmung unter unseren Mitgliedern sprach sich eine große Mehrheit für den Erhalt der Drittelparität in der Schulkonferenz aus. Das heißt, die Stimmung an den Schulen ist, nachdem man das ein Jahr praktiziert hat, so, dass die Eltern diese Stimmenaufteilung positiv sehen.

Gleichzeitig wird die Konferenz aufgewertet, weil dort künftig die Schulleiter gewählt werden...

Das wird überall kontrovers diskutiert. Bei Beibehaltung der Drittelparität hätten wir das kritisch gesehen. Eltern und Schüler wechseln ja häufig. So wäre die Kontinuität der "Regierung der Schule" nicht gegeben.
Eltern giften zurück
Interessengemeinschaft kämpft gegen Gift in Klassenräumen und für bundesweite Vernetzung

von Stephan Große

Sie sitzen nicht an Tischen und lernen, sondern kleben an der Wand, verstecken sich im Gemäuer und verpassen keine Unterrichtsstunde: Gifte im Klassenraum. Doch der organisierte Widerstand gegen Schimmel, PCB und Lösungsmittel in Schulen hat einen neuen Namen: www.giftschulen.de.
Die Interessengemeinschaft umweltgeschädigter Schüler und Lehrer einer Gemeinschaftsschule aus dem Eifelort Nideggen versucht, die Schulgift-Protestler bundesweit zu vernetzen. Seit vier Tagen ist die speziell dafür gestaltete Kontaktseite online. Grund: Den Kampf gegen die Windmühlen der kommunalen Bürokratie haben Lehrer und Eltern von vergifteten Schulen schon geprobt. Aber meistens kämpft jeder für sich allein. Was an der Nachbarschule oder in der Nachbargemeinde passiert, ist oft nicht bekannt.

Dabei ist das Potential an potentiellen Bündnispartnern riesig: 5.000 Schulen sind nach Schätzungen des Deutschen Städtetags bundesweit belastet. Der Sanierungsbedarf allein für die nordrhein-westfälischen Schulen wird auf 300 bis 400 Millionen Euro geschätzt. "Im Prinzip ist jede Schule, die in den 60er und 70er Jahren gebaut worden ist, Schadstoff verdächtig", sagt Klaus Hebborn, Beigeordneter für Bildung und Kultur beim Deutschen Städtetag. Verantwortlich für den Bau und die Instandhaltung sind die häufig unter chronisch Geldsorgen leidenden Kommunen.

Und die gehen oft nach demselben Muster vor, wenn es darum geht Sanierungen zu verhindern und Kosten zu sparen: "Die Verantwortlichen wimmeln ab: Die Symptome seien reine Einbildung, nur die empfindlichen Kinder würden sich beschweren. Oder man sagt, die Schadstoffbelastung kommt von Zuhause und nicht von Seiten der Schule", sagt Klaus Ladwig, Vorstand der Nidegger Interessengemeinschaft. Auch die typischen Krankheitssymptome bei Schülern und Lehrern sind meistens die gleichen: Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsschwächen und Lungenprobleme. Jedoch gibt es ein Problem: "Es gibt keine Richt- und Grenzwerte in diesem Bereich", ärgert sich Ladwig.

Eine Zusammenarbeit der Betroffenen könnte hier mehr Druck entwickeln. Ladwig träumt von bundesweiten Aktionen. Schulboykott ist einer seiner Pläne. So soll der Rechtsanspruch der Schüler und Lehrer auf ein schadstofffreies Schulumfeld in die Realität umgesetzt werden.
"Ich habe neue Kunden gewonnen"
Nach einem Rauchverbot hat Caféchefin Corte Levou Kunden verloren. Für sie ist das Verbot trotzdem ein Gewinn

von Stephan Große

taz: Frau Corte Levou, seit Anfang des Monats ist das Rauchen in ihrem Eiscafé Tosca verboten. Hätte nicht eine separate Raucherzone gereicht?

Augusta Corte Levou: Schon Anfang letzten Jahres habe ich mein Lokal zweigeteilt: in einen Bereich für Raucher und einen für Nichtraucher. Aber ich habe leider feststellen müssen, dass das keine zufriedenstellende Lösung war. Ich produziere Eis und Kuchen selber, und durch den Qualm hat die Qualität meiner Produkte sehr stark gelitten. Das heißt: Kuchen und Eis haben nach Rauch gerochen und geschmeckt. Selbst mit einer moderneren Dunstabzugshaube wurde das nicht besser.
Wie haben Sie das Verbot denn durchgesetzt? Haben Sie einfach alle Aschenbecher weggeräumt?

Zusammen mit meinen Mitarbeitern habe ich die Kunden seit Anfang Mai langsam auf das kommende Rauchverbot vorbereitet. Einige Raucher haben sofort gesagt, dass sie nicht mehr kommen werden. Aber ich war mir der Folgen bewusst und stehe zu meinem Entschluss. Wenn die Räume für Raucher und Nichtraucher nicht komplett getrennt werden können, kann die deutsche Gastronomie nur gewinnen, wenn sich das Rauchverbot durchsetzt.

Wie haben die anderen Gäste reagiert?

Die Nichtraucher haben natürlich sehr viel positiver reagiert als die Raucher. Manche finden das Verbot sogar so gut, dass sie deswegen Werbung für uns machen. Die toleranten Raucher wollen erstmal abwarten, wie es im Herbst aussieht. Denn noch dürfen sie draußen im Straßencafé rauchen. Aber ein ganz großer Teil hat gesagt: Wir kommen nicht mehr. Und diese 30 Prozent der Raucher sind so konsequent, dass sie nicht mehr auftauchen. Aber ich habe auch neue Kundschaft dazu gewonnen.

Sind inzwischen andere Gastronomen Ihrem Vorbild gefolgt?

Die meisten wissen wohl noch gar nichts von unserem Rauchverbot. Neben einem Restaurant sind wir wohl das einzige Lokal in Essen, das das Rauchverbot so konsequent durchgezogen hat. Ich wünsche mir aber, dass viele mitziehen.

Was würden Sie davon halten, wenn die Landesregierung per Gesetz das Rauchen in Gaststätten verbieten würde?


In Italien habe ich die Situation verfolgt. Dort haben sie im vergangenen Jahr ein Gesetz eingeführt, das das Rauchen in Gaststätten verbietet. Das finde ich vorbildlich. Und: Die Restaurants machen wegen des Verbots keine großen Verluste. Ich würde dafür plädieren, dass auch die deutsche Regierung ein solches Gesetz durchbringt. Den Rauch kann man nicht binden, der Nichtraucher ist immer dazu gezwungen, mitzurauchen. Die USA, Kanada und Italien - viele Länder haben das Rauchen in Restaurants schon verboten. Bisher war Deutschland immer Vorreiter, wenn es um Gesundheit geht. Ich kann nicht verstehen, warum das mit dem Rauchverbot so langsam vorwärts geht.
In NRWs Flüssen fließt Gift
Das Wasser von Ruhr und Möhne ist mit der Chemikalie PFT belastet. Obwohl in Tierversuche Langzeitschäden nachgewiesen wurden, gibt es bislang keine Grenzwerte für Trinkwasser

von Stephan Große und Miriam Bunjes

An Ruhr und Möhne bahnt sich ein neuer Umweltskandal an: Seit das Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn eine erhöhte Konzentration perfluorierter Tenside (PFT) in der Ruhr im Hochsauerlandkreis und in der Möhne nahe der Möhnetalsperre gefunden hat, herrscht Alarmstimmung vom Sauerland bis ins Ruhrgebiet.
"Es besteht keine akute Gesundheitsgefahr", sagen zwar die Behörden. Gleichzeitig warnt der Hochsauerlandkreis (HSK) davor, Babynahrung mit Leitungswasser zuzubereiten. Giftig oder nicht - morgen soll die nordrhein-westfälische Trinkwasserkommission diese schwierige Frage lösen. Bislang gibt es keine Grenzwerte für PFT. "Die Zeit dafür ist sowieso überreif", sagt Harald Färber, der für das Bonner Hygieneinstitut die Messungen vorgenommen hat. Sein Institut hat deutschlandweit verschiedene Oberflächengewässer auf ihren PFT-Gehalt untersucht. Grund: Die Chemikalie wird in unendlich vielen Alltagsgegenständen verwendet: auf beschichtetem Papier, in Reinigungs- und Feuerlöschmitteln. "PFT ist überall", sagt der Umweltmediziner. Akut gefährlich sei der Stoff für Menschen wahrscheinlich nicht. Allerdings kann er Langzeitwirkungen nicht ausschließen. Die Leberfunktion von Ratten und Affen wurde in Tierversuchen mit PFT stark beeinträchtigt. "Das ist zwar nur bedingt auf Menschen übertragbar, aber eine deutliche Warnung", sagt Färber.

Inzwischen ist der Biodünger der Firma GW Umwelt aus Borchen als eine Quelle der Wasserverschmutzung identifiziert. Seit Anfang letzter Woche hat der Betrieb die Düngerproduktion freiwillig eingestellt. Ende letzter Woche forderte die Behörde den Düngerhersteller auf, seine Lieferungen offen zu legen, um die Verbreitung der Vergiftung in NRW und darüber hinaus abschätzen zu können. Im Hochsauerlandkreis wurden 50 Flächen mit dem PFT-verseuchten Biodünger gedüngt, im Nachbarkreis Soest fast 500 Felder. Anfang vergangener Woche waren die Behörden sogar von 900 ausgegangen. "Das sind fast 1.200 Hektar Nutzfläche", sagt Kreissprecher Wilhelm Müschenborn. Folgen für die Landwirte seien aber noch nicht abzusehen.

GW Umwelt-Geschäftsführer Ralf Witteler ist es noch immer schleierhaft, wie PFT in seinen Dünger gelangen konnte: "Wir tappen im Dunkeln. Wir und unsere Zulieferer sind registriert und werden kontrolliert." Auch das zuständige Amt für Umwelt- und Arbeitsschutz Ostwestfalen-Lippe bestätigt, dass sich die Firma an die Bioabfallverordnung gehalten habe. Das Problem: Wegen fehlender Grenzwerte wird nicht gezielt nach PFT gesucht.

Die beiden betroffenen Kreise reagierten mit Informationskampagnen auf die Wasserverschmutzung. Der HSK hat Ende letzter Woche eine Hotline eingerichtet, an die sich besorgte Einwohner wenden können. "Allein am ersten Tag haben bis Mittags 85 Bürger angerufen", so Kreissprecher Martin Reuther.

Sorgen macht sich auch der Ruhrverband, der sich immerhin rühmt, die fünf Millionen Bewohner des Ruhrgebiets mit einwandfreiem Trinkwasser zu versorgen. Denn PFT taucht, wenn auch in sehr viel geringerer Konzentration, überall entlang der Ruhr auf. Der Wasserwirtschaftsverband hat bereits eigene Proben gezogen und wartet auf die Messergebnisse. "Wir warten jetzt auf die Grenzwerte der Trinkwasserkommission", sagt Ruhrverbandssprecher Markus Rüdel.
Jenseits von Ostalgie
70 Schülern diskutierten mit Bundespräsident Horst Köhler in Bonn die dunklen Seiten der DDR Diktatur

von Stephan Große

Der Applaus ist verhallt. Totenstille. Niemand will Bundespräsident Horst Köhler die erste Frage stellen. Rund 70 Schüler rutschen nachdenklich auf ihren Sesseln hin und her. Der Film "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck bedrückt. Er erzählt, wie die Stasi DDR-Schriftsteller ausspionierte und wie systematisch der Apparat der Bespitzelung funktionierte. So haben die meisten Jugendlichen die DDR noch nicht gesehen. Auch Horst Köhler und Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für Stasi-Akten, gehen die ersten Worte nur schwer über die Lippen.
Der oberste Repräsentant des Staates begann mal mit einem Lob: "Es ist wichtig, dass nicht nur Filme wie Good Bye Lenin das DDR-Bild der jungen Generation prägen", sagt Köhler. Donnersmarcks preisgekrönter Film ist auch anders als die Komödien, die seit Ende der 1990er Jahre für eine nostalgische Verklärung des DDR-Alltags sorgen und im Westen einen Boom der Ossi-Shops auslösten. In "Das Leben der Anderen" ist nicht der Normalbürger der Held, der trotz widriger Umstände triumphiert. Hauptperson ist hier der Stasi-Spitzel, der Abhörprotokolle manipuliert, um einen kritischen Schriftsteller vor dem Gefängnis zu bewahren, und sich damit in Gefahr bringt. Die Jugendlichen dürften nicht vergessen, dass der einzelne Mensch im System der DDR wenig zählte, sagt Köhler.

Tatsächlich waren die Schüler sichtlich betroffen, als sie die Menschen verachtenden Stasi-Methoden sahen. Dennoch hinterfragten sie den Film kritisch und wollten den Unterschied zwischen der fiktiven Handlung im Film und der Realität klargestellt wissen. Die meisten von ihnen waren schließlich zur Wende gerade zwei Jahre alt und wollten etwas über diese Zeit lernen. Sie wollten kaum glauben, dass es tatsächlich möglich ist, in der Behörde von Marianne Birthler Namen von Stasi-Spitzeln zu bekommen, die damals das Leben anderer protokollierten. "Während die Spitzelsuche im Film nur zehn Minuten dauert, muss im wahren Leben mehr Zeit investiert werden", klärte die Bundesbeauftragte sie auf. Aber die Namen seien zu bekommen. Dann wollten die Jugendlichen noch wissen, ob es für den couragierten Stasi-Spitzel im Film ein reales Vorbild gab. "Wir kennen nicht einen einzigen solchen Fall", sagte Birthler. Innerhalb der Stasi habe es so viel Kontrolle gegeben, dass solches Handeln kaum möglich gewesen sei. Der Regisseur und Drehbuchautor Donnersmarck konterte: "Der Film soll die Hoffnung ausdrücken, dass es so einen Menschen wie im Film geben könnte". Das musste die Figur transportieren.

Über die kritische Grundhaltung der Schüler schien Bundespräsident Köhler erleichtert zu sein. Eigentlich war er gekommen, um die Medienkompetenz des jungen Publikums zu fördern. Nur deswegen hatte er die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen. Doch er musste nicht viel Überzeugungsarbeit leisten. Die meisten Schüler hatten es längst begriffen, dass sie nicht alles glauben dürfen, was sie im Kino sehen. Einige kamen ernüchtert aus der Veranstaltung: "Der Film war super, aber die Zeit zur Diskussion war viel zu kurz", resümierte Paul Rogalla vom Leverkusener Werner-Heisenberg Gymnasium. Regisseur Donnersmarck hingegen war zufrieden. Besonders freute ihn das filmtechnische Interesse der Jugendlichen und die Haltung des Bundespräsidenten: "Köhler hat klug und nicht zu vorsichtig die Diktatur auch tatsächlich als Diktatur bezeichnet."
Musik für den Widerstand
Mit Russland-Appeal: Im Kölner Friedenspark findet heute das zweite Edelweißpiratenfestival statt. 20 Bands spielen zu Ehren der Widerstandskämpfer, die lange als Kriminelle diskreditiert wurden

von Stephan Große

Lange waren sie verrufen, geächtet, galten als Kriminelle. Als Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime wurden die Edelweißpiraten erst vor wenigen Jahren offiziell anerkannt. Seither wird immer öfter auf die Gruppen, die gegen die braune Pest ankämpften, aufmerksam gemacht: Eine Ausstellung im Kölner NS-Dokumentationszentrum, ein Denkmal für hingerichtete Piraten in Köln-Ehrenfeld, ein Film - die Würdigung der Jugendgruppen ist umfangreich. Und auch an die Musiktradition der Edelweißpiraten wird erinnert. Heute zum Beispiel: beim zweiten Edelweißpiratenfestival im Kölner Friedenspark.
Anders als bei der Festival-Premiere im vergangenen Jahr steht die Veranstaltung diesmal unter einem Motto: "Russlandromantik". "Es gibt eine klare Verbindung zu Russland, die vor allem über das Liedgut zustande kommt", erklärt Jan Krauthäuser von Humba Efau, der das Festival veranstaltet. Seit Jahren schon engagiert sich der Kölner Verein dafür, dass die Edelweißpiraten und ihr Protest gegen die Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten. Und dass die bündisch organisierten Jugendlichen nicht länger als Kriminelle diffamiert werden.

Zunächst verbrachten die Jugendlichen bloß ihre Freizeit gemeinsam, sie veranstalteten Zeltlager, trafen sich in Parks zum Singen. Ihre Zusammengehörigkeit signalisierten sie unter anderem mit einem Edelweiß am Revers. Sie wollten sich absetzen von der Hitlerjugend, verweigerten sich der dortigen Indoktrinierung und zunehmenden Militarisierung. Damit gerieten sie in Widerspruch mit dem NS-Regime, das entsprechend gegen sie vorging. Aus der Lagerfeuerromantik wurde aktiver Widerstand: Die Edelweißpiraten versteckten verfolgte Juden, halfen Zwangsarbeitern, druckten und verteilten regimefeindliche Flugblätter. Auch an Attentaten auf NS-Funktionäre waren sie beteiligt. Viele von ihnen bezahlten ihr couragiertes Handeln mit Haft - und oft auch mit dem eigenen Leben.

Halt bot den Piraten stets die Musik. Deshalb werden beim Edelweißpiratenfestival im Friedenspark der Kölner Südstadt heute Nachmittag auf fünf Bühnen gut 20 Bands und Solo-Künstler auftreten. Unter anderem ist die Reggae-Truppe La Papa Verde, Liedermacher Rolly Brings mit seiner Band und Klaus der Geiger dabei. Aufgeführt wird auch das Musical "Ahoi Edelweiß", das sechzig Kinder und Jugendliche des Jugendzentrums Bauspielplatzes Friedenspark erarbeitet haben. Das Stück ist eine poetische Erzählung von dem Wunsch nach einem respektvollem Umgang miteinander, der auch in schwierigen Zeiten möglich sein soll.

Auf die wenigen Kritikpunkte, die nach der Festivalpremiere im Vorjahr geäußert worden waren, sind die Veranstalter eingegangen. So sind die Künstler dazu angehalten, mehr Edelweiß-Liedgut in ihr Programm aufzunehmen. Um für einen gewissen Russland-Appeal zu sorgen, sollen daneben verstärkt Lieder aus dem Fundus der bündischen Jugend über das Gelände schallen. "Es wird spannend, über den gängigen Multikulti-Begriff hinaus auf die gemeinsame Kulturgeschichte von Deutschen und Russen zu blicken", so Organisator Krauthäuser. Nach dem Auftakterfolg 2005 mit mehr als 4.000 Besuchern hat sich die Veranstaltung schon fast zu einer Institution entwickelt. Schon jetzt steht fest: Das Festival wird jährlich als Erinnerung an die Anti-Nazi-Jugend stattfinden.
Götterbote wird 60
Der Rheinische Merkur feiert Geburtstag. Die Leser des Lieblingsblatts von Kanzler Adenauer altern kräftig mit

von Stephan Große

"Wer den Rheinischen Merkur liest, erfährt, wie die Welt aus christlicher Sicht aussieht (oder aussehen sollte)", schreibt Wolfgang Bergsdorf, einer der Herausgeber der Zeitung, die gestern ihren sechzigsten Geburtstag in Bonn feierte. Die christlichen Tugenden sind laut Bergsdorf das Entscheidende, das den Merkur von anderen Zeitungen unterscheidet. Der Ruf, eine konservative Zeitung zu sein, haftete dem Rheinischen Merkur schon immer an - und wird tatkräftig weiter gepflegt. Etwa mit Beiträgen über den eigenen Konservatismus in der Geburtstags-Sonderbeilage.
Genehmigt von der französischen Besatzungsmacht, wurde das Blatt Mitte März 1946 erstmals in Koblenz gedruckt und verstand sich sogleich als Verfechter eines vereinten Deutschlands in einem friedlichen Europa. Franz Alfred Kramer baute die Zeitung nach dem Krieg auf. Der Solinger arbeitete zuvor als Korrespondent für verschiedene Zeitungen in Rom und Paris und lebte schließlich bis zum Kriegsende im Schweizer Exil.

Zu Zeiten Adenauers avancierte die Wochenschrift zum Leib-und-Magen-Blatt des Kanzlers. Selbst der damalige Chefredakteur Anton Böhm diagnostizierte in einem Nachruf auf Adenauer die "ursprüngliche Übereinstimmung in den großen Leitgedanken", die zwischen Redaktion und Kanzler bestand. Mitte der 70er Jahre traten sogar mehrere katholische Bistümer und später auch die Deutsche Bischofskonferenz der Schar der Herausgeber bei. Doch entgegen jeglicher konservativer Klischees setzte sich die Zeitung schon früh für die Zusammenarbeit beider Konfessionen ein. So war es eigentlich auch kein Wunder, als der Rheinische Merkur 1979 mit dem protestantischen Blatt Christ und Welt fusionierte. Heute zählen Katholiken wie Protestanten zu den Herausgebern.

Die Auflagenzahl ist inzwischen zurückgegangen, es werden weniger als 100.000 Exemplare pro Ausgabe gedruckt. Über die Hälfte der Leser sind Abonnenten, fast drei Viertel sind 50 Jahre oder älter, zwei Drittel leben in den katholischen Hochburgen Nordrhein Westfalens und Baden Württembergs. Seit zwölf Jahren ist Michael Rutz Chefredakteur, der die Prinzipienfestigkeit der Vergangenheit in der Jubiläumsausgabe eifrig lobt. Denn so "sehen wir uns heute, da der Verlauf der Geschichte uns Recht gegeben hat, von allgemeiner Zustimmung umgeben". Na denn prost!