Ende einer Dienstfahrt
Führungskräften fällt der Weg in den Ruhestand oft schwer. Coaching und Ehrenämter helfen beim Ausstieg.

In einer kalten Herbstnacht macht sich Neu-Ruheständler Klaus Kinkel auf den Weg in seinen Wahlkreis. Es ist eine seiner ersten Reisen ohne Dienstwagen und Chauffeur. Er nimmt die Bahn, einen ICE. Nur zweimal umsteigen, und das Ziel wäre erreicht. Kein Problem, sollte man meinen. Doch es kommt anders. Beim ersten Zugwechsel sucht der Ex-Außenminister verzweifelt nach einer Klinke, um die Zugtür zu öffnen. Er scheitert. Als der ICE wieder anfährt, steht er immer noch im Waggon. Dass sich Zugtüren inzwischen auf Knopfdruck öffnen, wusste er nicht.
"Das werde ich nie vergessen", kommentiert Kinkel seine Panne später in einem Fernsehinterview. Doch Erlebnisse wie dieses sind keine Seltenheit. "Es gibt Manager, die können weder eine SMS mit ihrem eigenen Handy noch eine E-Mail mit dem Foto ihres Enkelkindes versenden", sagt Eberhard von Rundstedt, Chef der gleichnamigen Beratungsagentur. Seit mehr als 20 Jahren berät seine Firma Führungskräfte auf ihrem Weg in den Ruhestand. Der Geschäftsführer kennt die Probleme von Top-Verdienern aus den unterschiedlichsten Branchen. Denn die haben häufig - dank jahrelanger Unterstützung von Assistenten und Sekretärinnen - das verlernt, was für andere alltäglich ist.

Outplacement-Agenturen arbeiten eigentlich im Auftrag von Unternehmen und kümmern sich darum, für entlassene Mitarbeiter einen neuen Job zu finden. Doch neuerdings lassen sich auch angehende Pensionäre von ihnen coachen. Ob der 45-jährige PR-Berater eine neue Herausforderung im Beruf oder der 62-jährige Pensionär eine sinnvolle Beschäftigung im Ruhestand sucht: "Von der Fragestellung und Technik, wie man Menschen hilft, ist die Arbeit sehr ähnlich", sagt Berater Rundstedt.

Politiker oder Top-Manager sind nicht die einzigen, denen die Veränderungen zu Beginn des Ruhestands zu schaffen machen. Es trifft auch hoch engagierte Angestellte, meist aus technischen Berufen, die fast ausschließlich für ihren Job lebten. Oft fehlt ihnen das private Netzwerk mit guten Kontakten. Noch dramatischer kann es für die Menschen werden, die einen repräsentativen Posten im Berufsleben hatten. "Sobald sie im Ruhestand sind, merken sie, dass sie von den Einladungslisten von Empfängen und Feiern gestrichen werden, weil das Interesse an ihnen nachlässt", sagt Rundstedt. Denn das galt in erster Linie der Funktion und nicht ihrer Person.

Deswegen ist es wichtig, den eigenen Ruhestand zu planen. "Am Anfang der Beratung machen wir eine Lebens-Bestandsaufnahme", sagt der Berater. Neben Hobbys und Träumen besprechen die Coaches mit den Jung-Pensionären auch deren Posten in Aufsichtsräten, Fördervereinen oder wohltätigen Organisationen. Anschließend überlegen sie gemeinsam, welche der Aufgaben auch im Ruhestand noch interessant und möglich sind. "Das private Netzwerk mit Kontakten der Klienten ist eine große Hilfe", so Rundstedt. Denn so lässt sich schnell herausfinden, wo die Mitarbeit und Hilfe des Rentners auch gewollt ist. Enttäuschungen können vermieden werden.

Die Outplacement-Konzepte und das persönliche Coaching für Pensionäre haben ihren Ursprung in den USA. Dort ist eine berufliche Neuorientierung während des aktiven Berufslebens nichts Ungewöhnliches, und auch den Ruhestand planen die Amerikaner gezielt. Der Grund liegt auf der Hand: In vielen Firmen gibt es eine klar festgeschriebene Altersgrenze. In großen Anwaltskanzleien ist beispielsweise für die Partner mit Anfang 60 definitiv Schluss.

Sigismund von Dobschütz denkt gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Auch wenn der 58-jährige Betriebswirt seinen Job als Kurdirektor von Bad Kissingen hinter sich gelassen hat, sucht er neue Herausforderungen. Gerade ist er aus Nepal zurückgekehrt. Dort hat er ehrenamtlich die Vorbereitungen zur Gründung eines Tourismusverbands für den Chitwan-Nationalpark unterstützt.

Vermittelt hat den Auftrag der Senior Experten Service (SES) in Bonn. Die Stiftung schickt Spezialisten mit den unterschiedlichsten Berufsbiografien und aus ganz Deutschland zu Projekten ins Ausland - meist in Entwicklungsländer in Afrika und Asien. Dort helfen die Senior-Experten beispielsweise dabei, eine Mülldeponie zu sanieren, die Arbeitssicherheit in einer Verpackungsfirma zu erhöhen oder ein von der Schließung bedrohtes Ausbildungszentrum für Handwerker zu retten. "Besonders gefragt sind zur Zeit Handwerksmeister, Mediziner und Spezialisten im Maschinenbau", sagt SES-Geschäftsführerin Susanne Nonnen. In den ersten Monaten des Jahres wurden schon mehr als 400 Einsätze begonnen oder abgeschlossen.

Für die Registrierung beim SES sind besonders die letzten zehn Berufsjahre interessant. Das aktive Erwerbsleben sollte nicht länger als fünf Jahre zurückliegen. Die Kosten für die Einsätze übernimmt die Stiftung. Aber auch die ausländischen Firmen oder Institutionen, die den Rat der deutschen Experten anfragen, müssen sich an den Kosten beteiligen. Die Einsätze dauern in der Regel nur ein paar Wochen. "Unsere Experten dürfen keine Bauleitung oder ähnliches übernehmen und den Einheimischen Arbeitsplätze wegnehmen", sagt Nonnen.

Auch immer mehr deutsche Unternehmen sind an der Unterstützung durch Senioren interessiert. "Viele Firmen wünschen sich den Rat externer Experten", sagt Nonnen. Die seien neutral, und da sie aus der Branche kommen, kennen sie die Abläufe in den Firmen genau.

Für Dobschütz war die Reise nach Nepal bereits der fünfte Einsatz für den SES innerhalb eines Jahres. "Das Interessante an dieser Arbeit ist, dass man ganz neue Erfahrungen macht", sagt der Tourismusexperte. Man reise nicht wie ein Tourist von Hotel zu Hotel, sondern sei zu Gast bei einheimischen Familien. Die Aufträge seien zudem so unterschiedlich, dass sie einen immer wieder herausforderten. Das Angebot für den nächsten Einsatz hat er schon auf dem Schreibtisch. Ende des Jahres könnte er nach Bolivien starten. Dort soll er ein kleines Tourismus-Unternehmen beraten.

Ein bestimmter Typ von Führungskraft hat generell weniger Probleme mit dem Ruhestand: Frauen. "Schon während des Berufslebens spielen sie oft eine Doppelrolle und managen nebenbei das Sozialleben der Familie", sagt Coaching-Experte Rundstedt. Frauen wüssten besser, dass es auch ein Leben neben dem Beruf gebe. Und sie könnten zwei Dinge gleichzeitig erledigen - beides Fähigkeiten, die ihnen dann auch im Ruhestand zugute kommen.