Die letzten ihrer Art
von Stephan Große

Jahr für Jahr nimmt die Zahl der Zivildienstleistenden ab. Das wird auch für die Sozial- und Pflegedienste immer mehr zu einem Problem. In ganz Essen gibt es Stellen für fast 1300 Zivildienstleistende. Doch aktuell sind weniger als die Hälfte der Plätze vergeben.
"Ein Grund dafür sind die strengeren Anforderungen an die Tauglichkeit der Einberufenen", sagt Rüdiger Löhle, Sprecher des Kölner Bundesamt für den Zivildienst. Und die würden immer weniger junge Leute erfüllen. Zudem sinke die Zahl der Einberufenen, die dann auch nicht mehr für den Zivildienst in Frage kämen. Zusätzlich ist das Höchstalter der Einberufung auf 23 herabgesetzt worden.

Bei der Diözesan-Caritas ist die Situation so, wie die Statistik nahe legt. "Weniger als die Hälfte der Zivildienststellen sind bei uns besetzt", sagt Rudi Löffelsend, Caritas-Sprecher für das Bistum Essen. Nur 223 Zivistellen sind besetzt. Mit Hilfe eines Kombi-Lohn-Modells und Ein-Euro-Jobbern versucht der Verband, die Situation zu entschärfen.

Beim der Familien- und Krankenpflege (FuK) ist die Lage weit dramatischer. "Wir haben 20 Stellen gemeldet, haben aber nur einen Zivi. Und der bleibt nur bis Ende des Jahres bei uns", sagt Gerd Irmer, der den Pflegedienst der FuK leitet. "Die meisten Interessenten melden sich nicht mehr bei uns, nachdem sie gehört haben, was hier für Arbeit auf sie zukommt", so Irmer. Schon jetzt machen sich die Verantwortlichen Gedanken, ob in Zukunft überhaupt noch Zivildienststellen ausgeschrieben werden sollen.

Ähnlich wie bei der Caritas haben auch bei der Familien- und Krankenpflege bereits Aushilfen die Arbeit der Zivis übernommen. Studenten haben inzwischen die offenen Stellen als Nebenjob entdeckt.

Matthäus Guzinski wollte während seines Ersatzdienstes keinen Pflegedienst übernehmen und ältere Menschen waschen und versorgen. Nun engagiert er sich beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) und macht sogar Überstunden. Seine Bilanz ist dennoch positiv: "Ich gehe jetzt mit offeneren Augen durch das Leben und bin hilfsbereiter geworden", sagt er. Zudem habe er durch die Arbeit viel gelernt. Besonder im Umgang mit Menschen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Hilfsdiensten sind beim DRK und beim Arbeiter Samariter Bund (ASB) zur Zeit alle Zivildienststellen besetzt. Diese gute Auslastung hat einen Grund: Die Verbände reagierten und reduzierten in den lezten Jahren die Anzahl der Zivi-Stellen um rund die Hälfte. Gleichzeitig wurde das Angebot, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu leisten, entsprechend ausgebaut. Bis November im Einsatz: Zivi Matthäus Guzinski sorgt dafür, dass behinderte Menschen mobil bleiben.
Würfelzucker aus dem All
von Stephan Große und Elisa Peduto

Nach einem Jahr Vorbereitung ist es heute so weit. "Würfelzucker", der dritte Musiksender Deutschlands, geht von Essen aus auf Sendung - 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Besonders junge, noch unbekannte Bands wollen die Macher von "Würfelzucker" fördern. Mit einem Team von zwölf Musikexperten kann sich die Redaktion das auch leisten. Nach Bauchgefühl und Musikgeschmack wird abgestimmt und für drei Wochen probiert, ob die neuen Gruppen Erfolg haben. "Wenn man nur den Trends folgt, die die Industrie bestimmt, dann ist es doch eigentlich schon zu spät. Wir hören alles, keine Musikrichtung wollen wir ausschließen", erklärt Programmdirektor Paulo Ferreira.

Welche Musikvideos im Tagesprogramm laufen, richtet sich nach den Top 60. Abends wird die "Leckmich-Rotation" gesendet, wo es für jeden Geschmack was "zum Lecken" gibt. Neben den Videoclips werden auch redaktionelle Beiträge gesendet. Aber auch hier soll sich alles nur um Musik drehen. Anders als bei der Konkurrenz von Viva und MTV. Die Sender haben die Musikvideos größtenteils aus dem Programm verbannt und versuchen stattdessen mit Serien und Kuppelshows Quote zu machen.

Viele Ideen haben die Würfelzucker-Macher noch in der Hinterhand: Interaktive Elemente, bei denen Zuschauer auf neue und kreative Weise das Programm mitbestimmen können und Handy-TV sind nur einige der Neuigkeiten, die ausprobiert werden sollen. Direkt von Beginn an sendet Würfelzucker das Programm in voller Länge auch über das Internet und ist damit der einzige Musiksender, der dies wagt.

Wie der seltsame Name Würfelzucker zu Stande kam, ist ein Thema für sich: Nach monatelangen Diskussionen und zahlreichen Namensvorschlägen platzte beim Kaffeetrinken Geschäftsführer Andreas Schwarz der Kragen: "Dann können wir den Sender doch gleich Würfelzucker nennen." Gesagt, getan. "Der Name prägt sich einem sofort ein und jeder erinnert sich an ihn", sagt Ferreira. Er sei zudem für endlose Spielereien und Assoziationen geeignet.

Die Macher hoffen nun auf den Durchbruch. "Selbst bei den großen Plattenfirmen mussten wir nicht Klinken putzen", sagt Ferreira. Die Industrie scheint sich auf den neuen Sender zu freuen, denn nun gibt es wieder mehr Konkurrenz auf dem Markt der Musiksender. Die war spätestens mit der Übernahme des Kölner Musiksenders Viva durch den amerikanischen Viacom-Konzern, dem auch MTV gehört, vor zwei Jahren kaum mehr vorhanden. Inzwischen ist Viva von Köln nach Berlin umgezogen, und die Würfelzucker-Gründer rechnen damit, dass in Köln gebliebene Viva-Mitarbeiter nun für sie arbeiten.

Wie das Programm ankommt, wollen die beiden Verantwortlichen schon nach zwei Tagen bewerten.
Würfelzucker-Geschäftsführer Andreas Schwarz fiebert im Schnittstudio dem Sendestart entgegen. Fotos: WAZ, Bettina Engel (far)

Würfelzucker TV ist ab heute um 14 Uhr über Astra zu empfangen. Vom Essener Studio aus werden die Daten nach München gesendet und von dort aus in das Astra-Netz eingespeist. Über Kabel wird das Programm zunächst nicht zu sehen sein. Frequenzen unter: www.wuerfelzucker.tv Verantwortlich für das Programm: Paulo Ferreira.
Schon vorbei?
Kommentar von Stephan Große

Das Presseecho war groß, als die Entscheidung fiel: Essen wird Kulturhauptstadt. Eines war der Rummel auch: Werbung für die Stadt und ihre Museen. Sicher sind viele Menschen durch die Berichterstattung aufmerksam geworden, besuchen den Kulturstandort Essen schon vor 2010. Doch man könnte meinen, dass dieses Ereignis schon längst vorbei ist: Keine Plakate, keine Hinweise. Ist Essen der Kulturhauptstadt-Status peinlich?
Nur die Poster der abgelaufenen Caspar David Friedrich Ausstellung hängen noch. Sonst stehen dem Besucher einige Hürden im Weg, bevor er sich in Richtung Kultur orientiert hat.

Stattdessen mühselige Kleinarbeit in Sachen Informationsbeschaffung. Von koordinierter Beratung oder gar gebündelten Informationen kann leider nicht die Rede sein. Gut, es gibt die Touristeninformation gegenüber des Bahnhofs. Aber wehe sie kommen an einem Samstagnachmittag oder Sonntag in die Stadt. Da hat die Touristik-Zentrale leider nur eines: geschlossen.
Essen - touristisch geprüft
In der Touristikzentrale im Handelshof sollen auswärtige Gäste beraten werden...

von Stephan Große, Elisa Peduto und Denise Menchen

Seitdem im April die Entscheidung gefallen ist, dass Essen 2010 Kulturhauptstadt Europas wird, schmückt sich die Stadt mit ihrem künftigen Status. Doch Touristen, die Essen besuchen, bekommen nicht viel von den Vorbereitungen für das Großereignis mit.
Wie sich bereits heute unvorbereitete Touristen in der künftigen Kulturhauptstadt zurechtfinden, wollten wir testen. Zu dritt haben wir uns, eine Italienerin, eine Brasilianerin und ein Kölner, auf den Weg zu den kulturellen Attraktionen gemacht.

Schon am Hauptbahnhof haben wir es nicht leicht: Werbung und Hinweise auf Museen sind kaum zu sehen. Selbst die Touristik-Zentrale ist schlecht ausgeschildert: nur ein kleiner Wegweiser hängt außerhalb des Bahnhofs. Den richtigen Ausgang muss der Besucher allerdings schon selbst gefunden haben.

Getrennt lassen wir uns von verschiedenen Mitarbeitern der Touristik-Zentrale beraten. Doch von ausführlicher Information kann insgesamt nicht die Rede sein. Auf die Frage, welche kulturellen Attraktionen in Essen zu besichtigen seien, werden die zentralen Stellen, die auch im Rahmen der Kulturhauptstadt eine Rolle spielen, nicht genannt. Erst auf Nachfrage werden Zollverein, Museum Folkwang und Villa Hügel auf einem Stadtplan gezeigt. Prospekte bekommen wir alle, allerdings nur auf Deutsch. Obwohl sich zwei von uns nur mühsam auf Englisch verständigen. Zwar sind wir nun mit Stadtplan und Wegbeschreibung versorgt, doch für eine Übersichtskarte der Bus- und Bahnlinien sowie einer Fahrkartenberatung müssen wir zurück durch den Bahnhof zum Evag-Kundenzentrum.

Dort liegen zwar viele Pläne der einzelnen Linien aus, aber von der gewünschten Übersichtskarte keine Spur. So geht es wieder getrennt in die langen Schlangen vor den Schaltern. Eine Mitarbeiterin bemüht sich, alle Fragen auf Englisch zu beantworten, muss aber ihre Kollegin um Hilfe bitten. Als keiner der beiden weiter weiß, greift eben der Kunde von nebenan ein. Doch nur einer von uns bekommt schließlich den unhandlichen Plan kostenlos. Am Nachbarschalter kostet er einen Euro. In Sachen Fahrkarte wird uns allen ein Tagesticket als praktischste Lösung empfohlen.

Nach all den Schwierigkeiten ist nun der Weg nach Zollverein schnell zu finden. Dort entdecken wir am Eingang das erste große Plakat, das für das Ereignis 2010 wirbt. Am Informationsschalter bekommen wir alles rund um die ehemalige Zeche gut und sogar auch auf Englisch erklärt: Die Mitarbeiter sind fit und nehmen sich Zeit für unsere Fragen. Hier gibt es auch Prospekte auf Englisch, die die Touristik-Zentrale nicht bereithielt.

Zufrieden steigen wir in die Kulturlinie 107 ein und fahren zum Museum Folkwang. Auch dort ist man auf internationales Publikum gut vorbereitet. Die Caspar David Friedrich-Ausstellung ist zwar gerade vorbei. Aber es gab Audioguides auf Deutsch und Englisch und Führungen in verschiedenen Fremdsprachen. Ähnlich sieht es in der Villa Hügel aus. Hat man noch Lust ein Konzert oder die Oper zu besuchen, wird man im Ticketcenter neben dem Grillo-Theater auch auf Englisch gut beraten.

Ist die mühsame Suche nach Bahnplänen und interessanten Ausflugszielen gemeistert, ist es kein Problem, sich zu orientieren. Vorausgesetzt man kann sich auf Englisch verständigen.

Fazit: Die Museen und die Theater-, Oper- und Konzertkassen sind schon jetzt ziemlich gut auf das künftige Kulturhauptstadt-Publikum vorbereitet. Es fehlt vor allem ein handlicher Faltplan für Bus- und Bahnlinien. Und niemand erwähnte, dass die ganze Region Kulturhauptstadt wird.